Dieses Gefühl einer Entkopplung der Zeit finde ich allerdings auch bei den modernen Stücken von Xiaoyong Chen, die schon zum Teil atonal oder sagen wir auf zauberhafte Weise geräuschhaft anmuten.
AS: Ja, aber Xiaoyong Chen ist auch jemand, der aus dem Stillen kommt. Jemand hat es mal so beschrieben, dass Xiaoyong Chen Säulen aufstelle, zwischen denen man umhergehen kann, während alles von Ruhe umgeben ist. Man kann allem hinterher lauschen, und es steckt ein gewisser Improvisationsgedanke dahinter. Er hat Anweisungen wie: „Empfinden sie selbst, und machen dann einfach!“. Pausen: wie lange? Keine Ahnung! Es gibt kein Ziel. Es entsteht beim Spielen. So etwas gibt es bei Xiaoyong Chen extrem.
Dann die drei Stücke von John Tavener – da geht es u.a. um einen Nachruf. Zodiacs ist dabei ein interessantes Stück. Man kommt nicht darauf, dass es eine 12-Ton-Komposition ist. Und es erscheint zunächst eigentlich simpel, was es aber gar nicht ist. Thematisch geht es um Sonne, Erde und Mond in den verschiedensten Konstellationen. Die werden in drei verschiedenen Abfolgen vorgestellt und eben darauf muss man sich einlassen. Man fragt sich, was er sich darunter vorgestellt haben mag – etwas Absolutes, etwas so Großes wie das Universum – da ist man selber halt ganz klein.
Sie sagten gerade, man muss sich auf die Suche nach dem Klang begeben. Die Stücke des Albums stammen ja aus völlig unterschiedlichen Epochen. Das hört man den Stücken auch an, aber sie klingen eben auch nach der heutigen Zeit.
AS: Die Instrumente haben damals ja ganz anders geklungen. So waren auch die klanglichen Vorstellungen ganz anders als heute.
Wenn man dann noch die Aufnahmetechnik mit einbezieht, da sprechen wir ja von einer komplett anderen Ästhetik.
AS: Nicht nur das, darauf bin ich letztens in einem Gespräch mit einem Klaviertechniker gestoßen. Es ging um die Frage, warum russische Pianisten früher viel mehr das linke Pedal eingesetzt haben. Er erklärte mir, dass es nicht allein eine ästhetische Entscheidung gewesen sein kann, da die Klaviere früher technisch viel schlechter waren. Oft hatten die Pianisten keine andere Wahl, um den Klang in den Griff zu bekommen.
Anscheinend wird das aber immer noch viel genutzt. Ein Jazzpianist sagte mir mal, er würde behaupten, dass die meisten Jazzpiano-Solo-Aufnahmen im Una Corda gespielt werden. Dabei wird der Klang ja nicht einfach nur leiser, sondern das gesamte Klangverhalten ändert sich.
AS: Es kommt aber ganz darauf an, wie das linke Pedal eingestellt ist. Nicht viele Techniker bekommen es so hin, dass das Pedal exakt abstuft, also die Verschiebung so weit nach rechts eingestellt ist, dass nur exakt zwei Saiten angeschlagen werden, so dass das Chor daneben nicht berührt wird. Dies gibt eine für mich sehr spannende Klangfarbe. Es kann einen aber manchmal auch stören, wenn zu viel linkes Pedal, also die Verschiebung zu hören ist. Aber es wird schon oft als Effekt eingesetzt, als eine Art Register. Und der Ton und die Klangfarbe sind anders. Wenn ich im linken Pedal einen lauten Akkord anschlage und ausklingen lasse, dann ist die Schwingung eine andere. Das ist auch glaube ich unter anderem auch das, was die Jazzer nutzen.